Meinen Namen Rosa von Praunheim erfand ich Anfang der 60er Jahre. Als ich auf der Kunsthochschule in Berlin studierte, brauchte ich einen Künstlernamen und ich wählte Rosa, um an den Rosa Winkel, den die Schwulen im KZ tragen mussten, zu erinnern. Praunheim ist ein Stadtteil von Frankfurt a. M., wo ich meine Jugend verbrachte. Nein, Schwulenpolitik habe ich damals noch nicht gemacht, aber ich fühlte mich in all den kleinbürgerlichen Schwulenkneipen, in denen meist nur Eitelkeit zur Schau gestellt wurde, nicht wohl. Ich mochte die Schwulen nicht, die sich total unpolitisch gaben und die sich auch später nicht trauten, über ihr Schwulsein öffentlich zu sprechen, geschweige denn eine Schwulenbewegung zu unterstützen. Sauer war ich auf all die feigen Schwulen, die wegrannten, wenn Schwulenhasser sie jagten, statt gemeinsam Widerstand zu leisten.
Erst 1969 wurde der Paragraph 175 verändert, der bis dahin alle Schwulen kriminalisierte. Bislang hatte ich als Schwuler immer mit einem Fuß im Knast gelebt. Ich erinnere mich noch, wie mich damals ein Nachbar bedrohte und anzeigen wollte, als er herausbekam, dass ich schwul bin.
Ich war jung, wild und provokant. Schon in meinem dritten Kurzfilm Schwestern der Revolution (1969) zeigte ich eine Gruppe von Schwulen, die sich mit der Frauenbewegung solidarisierte.
Das brachte die etablierte Filmgesellschaft Bavaria auf die Idee, mich anzufragen, ob ich nicht einen Film zum Thema Homosexualität machen möchte. Ich schrieb ein konventionelles Skript und drehte ohne Ton in Berlin mit vielen Freunden. Erst später schrieben Martin Dannecker und ich die provozierenden sozialkritischen Kommentare, die über den Stummfilm gelegt wurden, der einen grossen Skandal auslöste. 1971 erlebte mein Film Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt auf den Filmfestspielen in Berlin seine Welturaufführung. Die Schwulen waren entsetzt, weil sie nicht wie erwartet mit Samthandschuhen angefasst, sondern von mir wegen ihrer Passivität, Feigheit und unpolitischen Haltung laut beschimpft wurden. Das Fernsehen verbot den Film zuerst und sendete ihn erst zwei Jahre später. Inzwischen hatten wir nach den ersten Kinoaufführungen des Films über 50 Schwulengruppen in Berlin und West-Deutschland gegründet. Das war der Beginn der modernen Schwulenbewegung in Deutschland.
Viele von uns, die sich damals engagierten, glaubten an eine Weltrevolution, an die sexuelle Befreiung im ganz großen Stil. Wir riefen zur Solidarität mit allen Minderheiten auf, wir wollten gemeinsam mit der Frauenbewegung kämpfen. Viel Zuspruch bekamen wir von linken schwulen Studenten, die in anderen linken Gruppen als Schwule nicht anerkannt wurden. Die ersten Jahre waren sehr bewegt und produktiv. Für viele Schwule wurde ich eine wichtige Identifikationsfigur und die Bewegung wuchs.
Schwestern der Revolution 1969.
Doch schon bald gewann der Kommerz die Oberhand und die schwule Subkultur genoss die neuen Freiheiten vor allem in Sexbars, bei Ledertreffen und in Discos. Der politische Anspruch wurde wieder geringer. Einige Wenige gründeten schwule Buchläden und Cafés als soziale und kulturelle Treffpunkte für Schwule, schwule Kleinverlage und Zeitschriften enstanden.
Als ich den Schwulenfilm Nicht der Homosexuelle machte, wusste ich wenig von den politischen Entwicklungen in den USA, von den Aufständen der Schwulen 1969 in der Stonewall Bar in New York gegen die mafiöse Polizei, die sie unterdrückte und schikanierte. Ich wusste auch nichts von der schwulenpolitischen Vorgeschichte in Deutschland um die Jahrhundertwende, wusste kaum etwas von dem Vorkämpfer Magnus Hirschfeld, der schon 1897 die erste Schwulenorganisation gegründet hatte. 1971 flog ich zum ersten mal nach New York und nahm an der zweiten großen Schwulendemonstration (Christopher Street Day) teil. Ich war begeistert von den tausenden bunt gekleideten und kämpferischen Homosexuellen.
II. Ich zeigte auch dort meinen Schwulenfilm und löste wieder heftige Diskussionen aus. Ich begann dann in den USA mit meinem großen Dokumentarfilm Armee der Liebenden – Aufstand der Perversen, der die Schwulen- und Lesbenbewegung in den USA von den 50er Jahren an bis 1976 darstellte. Ich denke, ein historisch wichtiger Film.
Armee der Liebenden kam Ende der 70er Jahre in die Kinos und hatte großen Erfolg. Gleichzeitig hatte ich in New York Undergroud and Emigrants über die Underground-Theaterszene in den USA gedreht. Hier porträtierte ich viele schwule Theater- und Filmemacher, unter anderem Andy Warhol, Charles Ludlam und Jack Smith. Sie zeigten zum ersten Mal auf der Bühne und Leinwand schwulen Sex, ließen glitzernde Transvestiten auftreten und sangen von gleichgeschlechtlicher Liebe. Ich war hingerissen von der sehr kreativen Szene in New York, die zum großen Teil aus Juden und Schwulen bestand. Mein Dokumentarfilm über den Andy Warhol-Superstar Tally Brown wurde 1979 mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet.
Anfang der 80er Jahre drehte ich Stadt der verlorenen Seelen, ein Musical mit amerikanischen Showkünstlern, die in Berlin strandeten und dort versuchten, eine neue Karriere zu starten. In der Hauptrolle ist die schwarze Venus Angie Stardust zu sehen, einer der ersten schwarzen Travestiekünstler, die in den weißen Clubs in New York auftraten. Dann waren da Jayne County, eine Punk-Transe, die in England mit den Electric Chairs Erfolg hatte, und Joaquim la Habana aus Kuba. 1985 drehte ich den Spielfilm Horror Vacui, in dem zwei schwule Freunde in die Fänge einer Sekte geraten. Der Film bekam den Los Angeles Filmcritic Award. In einem weiteren Spielfilm Anita – Tänze des Lasters portraitierte ich die bisexuelle Tänzerin Anita Berber mit ihrem Tanzpartner Droste. Auch dieser Film ging um die Welt.
Anfang der 80er kam Aids auf und beeinflusste mein filmisches wie auch mein persönliches Leben auf sehr intensive Weise. 1983 war Aids in der deutschen Presse zum ersten mal ein großes Thema. Gleichzeitig erkrankten schon Freunde von mir in New York. Niemand wusste zu dem dem Zeitpunkt, wie Aids sich verbreitete und was es genau war. Wir alle waren in Panik, weil es tödlich verlief. Erst Ende 1984 entdeckte man das Virus und war fähig, es im Körper nachzuweisen. Ich hatte Glück und war negativ.
Diese Zeit war für viele Schwule sehr schwer und ich beschloss, politisch wieder aktiver zu werden. Ich organisierte ab 1985 Aids-Informationsveranstaltungen, ich schrieb aufklärerische und provokative Artikel im Spiegel und forderte öffentlich die radikale Einhaltung von Safer Sex-Regeln. Dann verantaltete ich ein großes Benefiz für die neu gegründete Aids-Hilfe mit vielen deutschen Topstars, darunter Inge Meysel, Alfred Biolek, Herbert Grönemeyer, Andre Heller und Klaus Hoffmann.
1985 machte ich auch meinen ersten Spielfilm zur Aids-Thematik, Ein Virus kennt keine Moral. Es wurde eine schwarze Komödie. Ich wollte bewusst keinen Mitleids-Film drehen, ich wollte gleichzeitig aufklären und unterhalten. Bei den zahlreichen Diskussionen, die nach dem Film stattfanden, waren viele Menschen dabei, die trotz Aufklärung Safer Sex kritisierten, weil sie meinten, dass das Virus eine Erfindung des CIA und Deuschland nicht bedroht sei. Man sollte lediglich darauf verzichten, mit Amerikanern ungeschützten Sex zu haben.
Viele linke Schwulen meinten, dass die Presse nur Panik verbreiten würde und dass man Safer Sex nicht so banal wie ein Waschmittel bewerben könne. Die Sexualforscher plädierten für eine intensive psychologische Beratung hinsichtlich des Umgangs mit Aids. Ich regte mich fürchterlich auf, sagte, dass das Virus sich viel zu schnell verbreiten würde, um lange über Maßnahmen zu debattieren, und dass sich alle mit Kondomen schützen sollten. Mein Kampf dauerte 10 Jahre an.
Ich trat oft kämpferisch in den Medien auf – drehte Ende der 80ziger Jahre in New York zwei Dokumentationen: Positiv über den Kampf von radikalen Anti-Aids-Aktivisten (Act Up) und Schweigen = Tod über Künstler im Kampf gegen Aids. Dann 1990 Feuer unter dem Arsch, ein Film über die Aids-Krise in Berlin.
Mit meinen radikalen Auftritten in der Öffentlichkeit machte ich mir nicht nur Freunde. Ich griff die inzwischen mächtig gewordenen Aids-Hilfen an, weil sie sich aus meiner Sicht nicht genug für Safer Sex einsetzen. Die Aids-Hilfen schlugen zurück und boykottierten meine Filme.
Ende der 80er Jahre hatte ich im Kino meinen größten kommerziellen Erfolg mit einer Dokumentation über drei ungewöhnliche deutsche Frauen in den USA mit dem Titel Überleben in New York. Eine der Frauen hatte in New York ihr lesbisches Coming Out und lebt dort heute noch in einer glücklichen Beziehung mit einer Frau.
III. Als ich dann auf dem Höhepunkt der Aids-Krise begann, prominente Schwule im Fernsehen zu outen (1991/92), hatte ich nicht nur viele Schwule, sondern auch viele Heteros gegen mich. Ein riesiger Skandal. Meine Outings waren kein Programm, sondern nur eine Aktion auf kurze Zeit, ein Steinwurf, um ängliche und feige Schwule im Lande aufzuwecken und sie zu mehr Mitverantwortung zu bewegen. Prominente Schwule sollten Vorbilder und Identifikatiunsfiguren sein. Aids hatte die Schwulen wieder in ihre Verstecke zurückgetrieben und sie waren einer weiteren großen Diskriminierungswelle ausgesetzt. Ich war der Meinung, dass man dieser durch mehr Öffentlichkeit entgegen treten sollte.
Trotz des großen Aufschreis in den Medien sagen heute die von mir geouteten Showstars A. Biolek und H. Kerkeling, dass sie auch erleichtert waren, nicht mehr versteckt leben müssen. Die Journalie im Land änderte ihre Einstellung zu den Schwulen, stigmatisierte und problematisierte sie weniger. Heute berichtet die Presse über prominente Schwule in den Klatschspalten ähnlich wie über Heteros. Viele prominete Schwule werden positiv und als Sympathieträger dargestellt. Das war vor den Outings nicht möglich.
Nach den Outings forderten einige einen Fernsehboykott gegen mich, doch schon bald konnte ich weitere Filme drehen. Für den Hessischen Rundfunk machte ich eine große Dokumentation unter dem Titel Schwuler Mut – 100 Jahre Schwulenbewegung, den ich parallel zu einer großen Ausstellung und Veranstaltungsreihe in der Berliner Akademie der Künste fertigstellte.
Stolz und Schwul war eine Porträtserie über drei alte schwule Männern, die jeweils von den wilden 20ern, den schrecklichen 40ern und 50ern erzählen. Dann durfte ich Vor Transsexuellen wird gewarnt für den NDR drehen, ein Dokumentarfilm über die Bürgerrechtsbewegung von Transsexuellen in den USA. Besonders beeindruckend für mich war der Kampf der Frau-zu-Mann-Transsexuellen, von denen man bislang wenig wusste.
1995 drehte ich Neurosia, einen autobiographischen Spielfilm, in Form einer schrillen Komödie.
1999 drehte ich meinen bislang teuersten Spielfilm Der Einstein des Sex über das Schaffen und Leben des Sexualwissenschaftlers Magnus Hirschfeld . Für diesen Film recherchierte ich fast 10 Jahre und verfasste viele Drehbuchentwürfe. Ich war sehr beeindruckt von der frühen deutschen Schwulenbewegung, die so progressiv um die Jahrhundertwende begann und dann so entsetzlich von den Nazis unterbrochen wurde.
1999 drehte ich in Hollywood für Ziegler-Film meinen erotischen Kurzfilm Can I be your Bratwurst, please? mit der lebenden Pornolegende Jeff Stryker in der Hauptrolle. Der Film lief auf über zweihundert Filmfestivals weltweit.
2000 kam meine Dokumentation über den Filmregisseur Rainer Werner Fassbinder heraus, der sehr strak Fassbinders homosexuelles Leben beleuchtet.
2002 wurde mein Film Tunten lügen nicht auf der Berlinale uraufgeführt. Es ist eine Dokumentation über vier Polit-Tunten in Berlin, die ich seit den 80ern beobachtete und schätzen gelernt habe. Im Film outen sich drei von ihnen als HIV+ und bald mussten wir die Darstellerin Ovo Maltine zu Grabe tragen. Sie liegt auf dem Alten St. Mathäus Friedhof in Berlin. Kurz vor ihrem Tod besuchte ich Charlotte von Mahlsdorf in Schweden, sprach mit ihr über Sterben und Tod in meinem Kurzfilm Charlotte in Schweden.
Zu meinem 60. Geburtstag drehte ich das Selbstpotrait Pfui Rosa, so hatte mich die Bild-Zeitung nach meinen Outings betitelt.
2005 drehte ich Männer, Helden, schwule Nazis. Der Dokumentarfilm war mit einer sehr schwierigen Recherche verbunden. Ich fand heraus, dass es schon Ende des 19. Jahrhunderts politisch rechtsgesinnte Schwule gab, Anit-Semiten und Frauenfeinde. Bei den Nazis gab es unter dem SA-Führer Ernst Röhm eine ganze Reihe von Schwulen und genauso sind auch heute bei den Neonazis, so pervers es klingt, viele Schwule, auch in hohen politischen Positionen, zu finden. Die Uraufführung bei der Berlinale wurde sehr kontrovers besprochen.
In der Presse wurde ein Fall von einem schwulen Kannibalen bekannt. Dadurch angestoßen drehte ich eine Spielfilm-Improvisation unter dem Titel Dein Herz in meinem Hirn mit den wunderbaren Schauspielern Martin Ontrop und Martin Molitor.
2007 enstand mein vielleicht emotionalster Film Meine Mütter, die Suche nach meiner leiblichen Mutter. Erst mit 94 Jahren erzählte mir meine liebe Adoptiv-Mutter Gertrud, dass ich nicht ihr leiblicher Sohn sei. Nach ihrem Tod machte ich mich auf die Suche nach Riga, wo ich 1942 geboren wurde und fand Erstaunliches heraus.
2008 entstanden Tote Schwule – lebende Lesben und Rosa Riese eine Spielfilm-Improvisation über einen realen Frauenmörder in Brandenburg, der inzwischen in der Psychatrie sitzt und Frauenkleider trägt.
2009 drehte ich für ZDF/ARTE Rosas Höllenfahrt, eine filmische Reise durch die Religion und deren Höllenvorstellungen. Bei der Talkshow von Anne Will (2010) bezeichnete der Bischof Overbeck Schwule als Sünder. Daraufhin outete sich einer meiner Protagonisten im Film, der bis dahin als erzkonservativ bekannte Religionslehrer und Herausgeber theologischer Blätter David Berger, als schwul und verlor promt alle seine kirchlichen Ämter.
Nach 10 Jahren USA-Abstinenz reiste ich 2009 wieder nach New York, wo ich New York Memories, eine Fortsetzung von Überleben in New York drehte. Ich befragte und porträtierte die Protagonistinnen Claudia und Anna nach 20 Jahren erneut und fand ein völlig verändertes New York vor, reich und konservativ, voller Coffee-Shops und Luxusläden, aber immer noch energiegeladen. 2010 drehte ich für RBB und NDR Die Jungs vom Bahnhof Zoo einen Dokumentarfilm über männliche Armutsprostitution in Berlin. Wie viele meiner Filme wurden New York Memories und Die Jungs vom Bahnhof Zoo bei der Berlinale uraufgeführt
Im November 2012 werde ich 70 Jahre alt. Ich habe den nahezu größenwahnsinnigen Plan, bis dahin noch 70 Filme zu drehen. Werde ich das schaffen? Gerade habe ich in drei Tagen die Komödie Axel und Peter mit zwei schwergewichtigen schwulen Darstellern abgedreht, Peter Kern und Axel Ranisch, beide sind bemerkenswert begabte Schauspieler und Regisseure.
Es macht Spaß, schwul zu sein, und es macht Spaß, Filme zu drehen.
2011 ist es vierzig Jahre her, dass ich meinen Schwulenfilm Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt gedreht habe. Es ist dann vierzig Jahre her, dass wir die ersten kämpferischen Schwulengruppen gründeten, wie z.B. die Homosexuelle Aktion West Berlin. Es ist 25 Jahre her, dass ich mich mit Filmen, in Talkshows und jounalistisch für den Kampf gegen Aids engagiere.
In den vierzig Jahren, in denen ich Schwulenfilme mache, hat sich viel verändert. Wer hätte damals gedacht, dass Berlin mal einen populären schwulen Bürgermeister haben würde, der sich öffentlich mit dem Satz Ich bin schwul und das ist auch gut so outete und damit auf enorm positive Reaktionen bei schwulen und heterosexuellen Bürgern und bei der Presse stieß. Wer hätte gedacht, dass inzwischen Heteros erfolgreiche Schwulenfilme drehen und das in fast jeder TV-Soap mindestens ein Schwuler anzutreffen ist. Und trotzdem gibt es weltweit Schwulenunterdrückung. Viele Länder dieser Erde kriminalisieren Schwule noch immer. In Osteuropa, in Afrika und Asien sieht es schrecklich für Homosexuelle aus. Die Kirchen bekämpfen Schwule und Lesben vehement. Also, es gibt noch viel zu tun für uns und für mich in der kurzen Lebenszeit, die mir noch bleibt.