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Frauen um Rosa
Neben dem Schwulenthema waren für mich Frauen, meist ältere Frauen, das Zweitwichtigste in meinem Leben und in meinen Filmen. Warum? Ist es die Ersatzmutter, bei der man sich besonders verstanden fühlt, ist es die Identifikation mit starken selbstbewussten, klugen Frauen, weshalb Schwule oft die großen Diven verehren von Mae West bis Marlene Dietrich, von Judy Garland bis Liz Taylor?

Die erste bedeutende Frau in meinem Leben war Nora, Gräfin Stolberg zu Stolberg. Leider ist sie nie in einem meiner Filme aufgetreten, nur in einem Hörspiel Frauen zwischen Hitler und Goethe. Ich lernte Nora mit 17 Jahren kennen und schätzen. Sie war die Mutter einer Freundin auf der Kunstschule in Offenbach, ca. 20 Jahre älter und sie schloss mich in ihr Herz. Nächtelang diskutierten wir alle Themen dieser Welt. Sie hatte viel Zeit für mich, da ihre Kinder aus dem Haus waren und ihr Mann, der Graé gerade durch einen Unglücksfall mit einer brennenden Zigarette im Schlaf erstickt ist. Nora war Halbjüdin, ihr Vater war im KZ umgekommen. Nora war eine leidenschaftliche, sinnliche Frau und wir tanzten nächtelang nach der Melodie von „Strangers in the night”. Nora ist wie viele meiner wichtigsten älteren Freundinnen tot. So tot wie Luzi Kryn aus der Bettwurst, wie Lotti Huber und Evelyn Künneke, die alle in den letzten Jahren verstorben sind.

Die zweitwichtigste Frau in meinem Leben war jünger als ich, Carla, die ich Carla Aulaulu nannte und mit der ich meine Filmkarriere begann. Ich lernte sie Anfang oder Mitte der sechziger Jahre in Berlin kennen. Ich war auf die Kunsthochschule gegangen, um Malerei zu studieren, gleichzeitig schrieb ich poetische Geschichten von ermordeten Königen und liebte alles Verrückte und Abseitige. Ich sammelte um mich herum wilde schwule Männer und exzentrische Frauen. Carla war die Verrückteste, klaute sich mit ihrer Freundin Drogen aus dem Botanischen Garten, schneiderte sich die wildesten Outfits und tanzte mit mir die Nächte in Schwulenbars durch. Ich bat meine Freundin, die Fotografin Elfi Mikesch, von Carla Fotos zu machen, aus denen später 1968 das Fotobuch Oh Muvie entstand. Carla war klein, nicht besonders schlank, aber wollte unbedingt die erotischste Frau der Welt sein. Ihre Parodien begeisterten uns alle. Bald wurde sie durch meine ersten Kurzfilme eine Kultfigur im deutschen Underground und 1969 heirateten wir.

Die Hochzeitsnacht war kurios, weil ich sie mit jemand anderem, einem Mann verbrachte und Carla hohes Fieber bekam. Danach haben wir uns nie wieder gesehen, sie ging nach München, machte mit Fassbinder Theater und Film und verliebte sich dann in einen unbegabten Regisseur, der auf ihre Vergangenheit eifersüchtig war, und sie versank immer mehr in Vergessenheit.

Carla war wild, frech, eine Comicfigur, hatte eine unbändige Fantasie und regte mich zu meinen ersten Filmen an. 1969 entstand Von Rosa von Praunheim, in dem Carla ein Dienstmädchen spielte, zu Füßen von drei großen Frauen, die sie unterdrückten. Dazu sangen Carla und ich in verschiedenen Sprachen. Mit unserem zweiten Film Rosa Arbeiter auf goldener Straße gewannen wir Preise und kamen auf das Cover eines großen Filmmagazins. Meine Karriere begann.

Leider habe ich keinen Kontakt mehr zu Carla, als ich sie im letzten Jahr anrief, legte sie den Hörer auf. Man sagt, dass sie ein Kind hat und von der Sozialhilfe lebt, und sie soll Gedichte schreiben. Ihre starke Persönlichkeit hat meine Filmkarriere geprägt, sie hat mich an- und aufgeregt wie kaum eine andere Frau.

Dann kam meine Tante Luzi Kryn, mit der ich 1969 erst Schwestern der Revolution drehte und dann die unvergessliche Bettwurst. Über Luzi berichte ich an anderer Stelle auf meiner Webside ausführlicher.


Die Schlagersängerin Evelyn Künneke traf ich Anfang der 70er Jahre. Ich lernte sie auf einem Schwulenball kennen. Da war ich schon berühmt und sie noch viel berühmter. Sie war in den 40er Jahren mit dem Schlager „Sing Nachtigall sing“ berühmt geworden, war angeblich Europas berühmteste Stepptänzerin und hatte ein Comeback in den 50er Jahren mit „Egon Egon“ und vielen anderen billigen Titeln. Ich liebte die Trivialität von Evelyn, ihre Publicitysucht, ihre tausend Zeitungsartikel und ihre schlechten Filme, in denen sie mitgewirkt hatte. Mit der Zeit begann ich aber, ihre Musikalität zu schätzen, besonders wenn sie mir Jazznummern vorspielte.

Ich liebte ihren Berliner Humor. Evelyn war 20 Jahre älter, war dick und versoffen, als ich sie kennenlernte. Die Presse schrieb: „Sie trank mehr als sie sang“ und ihre Karriere war vorbei. Wir waren fasziniert voneinander. Evelyn machte alles, um wieder ins Rampenlicht zu kommen. In meinem Film Axel von Auersperg spielte sie einen Bischof, der einen lateinischen Blues sang. Das ZDF zensierte die Szenen mit Evelyn, immerhin 30 Minuten und sendete den Film später völlig verstümmelt. Der Presseskandal, der daraus enstand, verhalf Evelyn zu einem Comeback.

Dann setzte Evelyn in die Zeitung, dass sie sich mit mir verloben wolle, ich hatte keine Ahnung davon, also entlobten wir uns öffentlich, um uns dann ein Jahr später erneut zu verloben. Das Spiel mit der Presse begann auch mir Spaß zu machen. Ich drehte 1976 ihre Lebensgeschichte unter dem Titel Ich bin ein Antistar. Die Arbeit mit ihr war schwierig, oft war sie sehr zickig, aber immer wieder gelang es ihr, mich mit ihrem unbändigen Humor und ihren Verrücktheiten zu faszinieren. Bis zu ihrem Tod blieben wir befreundet.

Ich hatte mich inzwischen aber einer neuen faszinierenden Frau zugewandt, Lotti Huber, die ich für meinen Film von 1981 Unsere Leichen leben noch entdeckte. Lotti war ungeheuer eifersüchtig auf Evelyn, Lotti fand sie banal und trivial. Ich fand das lustig. Bevor ich in den 80er Jahren mit Lotti Huber einen Film nach dem anderen machte, hatte ich in New York die Sängerin Tally Brown kennengelernt. Ich verewigte sie in meinem Film Tally Brown New York, der Ende der 70er Jahre den Bundesfilmpreis bekam.



Tally sang Lieder von Brecht, David Bowie und den Rolling Stones. Sie war dick, schminkte ihre Zunge grün, trug lose griechische Gewänder, die ihre riesigen Hängetitten andeuteten und war ein Undergroundstar, hatte bei Andy Warhol gespielt und vielen anderen. Tally war die zickigste Diva, mit der ich je gearbeitet hatte, doch all die Mühe, die Demütigungen und die Qualen die ich ausstand lohnten sich, sie war eine wahre Königin und ich bin stolz, dass mein Film bleibt, während sie schon lange nicht mehr unter uns weilt.



Das Gegenteil von Tally war die New Yorker Dichterin Helen Adam, die ich in meinem Film Todesmagazin, oder wie wird man ein Blumentopf verewigte. Helen, spindeldürr, trug mit hoher Stimme grausame Balladen aus dem alten Schottland vor, die sie nachdichtete. Helen war von einer typisch britischen Freundlichkeit, die ich nie vergessen werde. Ich liebte sie abgöttisch, lud sie zu einem Dichtertreffen nach Berlin ein und war total erschüttert, als ich hörte, dass sie arm und geistig umnachtet starb.

Lotti Huber traf ich 1980 durch einen Journalistenfreund in Berlin. Dieser kleinen dicken Person mit der Energie einer Atombombe konnten nur wenige widerstehen. Unser erster gemeinsamer Film Unsere Leichen leben noch wurde ein großer Erfolg. Da wir in der gleichen Straße in Berlin lebten, sahen wir uns sehr oft, manchmal täglich und wir dachten uns immer neue Filmstoffe aus.

Lotti war ungeheuer fantasievoll, und sehr, sehr witzig. Ich wollte tausend Filme mit ihr machen, aber es wurden nur vier: In Horror vacui spielte sie eine Sektenchefin, in Anita, Tänze des Lasters einen Sexstar aus den zwanziger Jahren, und in Affengeil, unserem letzten Film von 1990 spielte sie ihr Leben.

Die Freundschaft zu Lotti war sehr, sehr intensiv. Wir tanzten gemeinsam auf der Bühne des Renaissancetheaters in Berlin, ich regte sie an, ihre Memoiren zu schreiben, die zum Bestseller wurden. Auf unseren vielen gemeinsamen Reisen zu Filmpremieren entwickelten wir Lottis Lifeshow, die sie bis zu ihrem Tode auf vielen Bühnen in ganz Deutschland zeigte. Lotti hatte das Glück mit unseren Filmen immer berühmter zu werden und wurde somit von mir unabhängig.

Ich wandte mich anderen Themen zu, hatte in der Aidskrise genug zu tun, meine Freunde aufzuklären, sie zu beerdigen und sie mit meinem Outing von schwulen Prominenten aufzurütteln.

Lotti und ich verloren uns nicht aus den Augen, aber unsere Beziehung wurde distanzierter, so dass ich nicht richtig trauern konnte, als sie Ende der 90er Jahre starb. Ich erschien mit einem großen weißen Cowboyhut auf der großen Beerdigung mit der Aufschrift „Ich liebe Dich“.

Nach Lotti kommt meine geliebte Mutter, mit der ich immer näher zusammenrückte, die 14 Jahre bei mir in meiner großen Berliner Wohnung wohnte. Meine Mutter spielt in einigen von meinen Filmen mit. 1976 in dem Film 24. Stock dann in Neurosia von 1995. Trotz ihrer bürgerlichen Erziehung war sie immer tolerant, sie liebte mich ohne mich zu verstehen, für mich die höchste Form der Liebe. Sie ertrug meine Exzentrik. Sagte sie doch einmal, dass sie schon zwei Weltkriege ertragen hätte und ich wäre der Dritte. Im September 2003 verstarb sie beim Schachspiel in meiner Wohnung. Ich trauere bis heute um sie, besuche regelmäßig ihr Grab. Im Jahre 2000 hatte sie mir offenbart, dass ich nicht ihr Sohn sei, sie hätte mich 1942 in einem Kinderheim in Riga gefunden, mehr sagte sie nicht.

Nach ihrem Tode entschloss ich mich auf, die Suche nach meinen leiblichen Eltern zu gehen. Der Film „Meine Mütter“, der daraus entstand, schildert die spannende Suche nach meiner Vergangenheit. Er kam 2008 ins Kino und gilt bei vielen als mein bester Film. Er ist eine Liebeserklärung an meine Mütter.

Eine Ersatzmutter fand ich bald in Helene Schwarz, die seit über 40 Jahren an der deutschen Filmakademie in Berlin arbeitet und die als die Muse des deutschen Films gilt. Ihr widmete ich den Film Wer ist Helene Schwarz (2005).

Eine andere Frau, das ganze Gegenteil zu der liebevollen Helene, ist Ellen Reichardt, die in meinen Filmen Mit Olga auf der Wolga und Sechs tote Studenten (2007) die Hauptrolle spielt. Eine egozentrische, schwierige, aber wunderbar fantasievolle, verrückte Frau.

Und schon wieder habe ich ein Auge auf mehrere ältere Damen geworfen, auch wenn ich schon selbst ins Alter komme. Im Oktober 2008 machte ich für meinen Film Rosas Höllenfahrt ein Interview mit der charmanten und intelligenten Theologin Uta Ranke-Heinemann. Ich habe mich sofort in sie verliebt ...

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